Ob das älteste bekannte Hühnerei nördlich der Alpen gekocht war, lässt sich nicht sagen. Auf jeden Fall stammt es aus dem heutigen Nördlingen in Bayern und seine Schalen landeten im 4. Jahrhundert vor Christus zwischen verbranntem Getreide und Tierknochen im Abfall. Das haben Wissenschaftler des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege mit Hilfe ihrer englischen Kollegen an der Universität York nun nachweisen können. Sie haben die nur millimetergroßen Splitter aus einer Müllgrube der späten Eisenzeit untersucht. Die Lage inmitten von Speiseresten spricht dafür, dass das Hühnerei tatsächlich dem Verzehr diente. Es handelt sich damit um den ersten direkten Beleg für den menschlichen Konsum von Eiern nördlich der Alpen.
"Dieser auf den ersten Blick so unscheinbare Fund zeugt von einer kleinen Zeitenwende, was die menschlichen Ernährungsgewohnheiten betrifft. Mit einem Augenzwinkern gesagt: Was damals begann, führte später zum Osterei", erklärt Generalkonservator Prof. Dipl.-Ing. Architekt Mathias Pfeil, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege.
Nach dem aktuellen Forschungsstand hielten die Menschen in Mitteleuropa Hühner bis dato nämlich eher als Haus- denn als Nutztiere. Dass die Hähne in der europäischen Eisenzeit als Statussymbol galten, belegen etwa Darstellungen auf Münzen dieser Zeit. Ursprünglich stammt das heutige Haushuhn vom südostasiatischen Bankivahuhn ab, das noch heute gezüchtet wird. In Europa sind seit der Eisenzeit vereinzelte Knochen der Tiere nachweisbar, also ab etwa 800 vor Christus. Erst am Ende der Eisenzeit, im 3. bis 2. Jahrhundert vor Christus, scheinen Menschen Hühner zum Eierlegen zu halten. Auch darüber geben die Tierknochen Aufschluss, auf die Archäologinnen und Archäologen immer wieder stoßen. Ab dem 3. Jahrhundert vor Christus finden sich darunter mehr Knochen von Hennen als von Hähnen – beispielsweise im Oppidum von Manching, nahe dem heutigen Ingolstadt. Dies weist auf eine gezielte Nutzung der Hühner zur Eierproduktion hin.
Auf die vorzeitliche Müllgrube waren Archäologinnen und Archäologen 2020 bei einer Ausgrabung gestoßen. Das daraus geborgene Sediment wurde durch feine Siebe geschlämmt, um die Makroreste unter dem Mikroskop untersuchen zu können. Dabei traten auch die Schalenstücke zu Tage. "Den Nachweis einer Hühnereierschale verdanken wir der günstigen Kombination aus guten Erhaltungsbedingungen, einer akribischen Analyse der Kleinstfunde im gesiebten Sediment und neuer Technik", sagt Dr. Johann Friedrich Tolksdorf, der zuständige Archäologe am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.
Die zu den Eierresten gehörende Vogelart wurde an der Universität York per Massenspektrometrie der Proteinmoleküle bestimmt. Die Methode beruht darauf, dass sich der Aufbau der Proteine einzelner Tierarten voneinander unterscheidet und ermöglicht eine effiziente und zuverlässige Analyse auch kleinster Bruchstücke und Tierreste wie der Eierschalen aus Bayern. Mit Hilfe der C14-Methode, bei der der Anteil des Kohlenstoffisotops gemessen wird, wurden die vorzeitlichen Speiseabfälle in das 4. Jahrhundert vor Christus datiert.